Theobald Böhm
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Der Erfinder des B-Daumenhebels an der Böhmflöte.

Theobald Böhm oder Giulio Briccialdi?

von Ludwig Böhm

Zum 200. Geburtstag von Giulio Briccialdi möchte ich ein paar Bemerkungen über die Beziehungen zwischen Theobald Böhm (1794–1881) und Giulio Briccialdi (1818–1881) machen. Außerdem möchte ich über die Änderung des B-Daumenhebels durch Briccialdi informieren und den weit verbreiteten Irrtum korrigieren, dass Briccialdi der Erfinder des B-Daumenhebels ist. Dieser Hebel ist von großer Bedeutung, da es sich bei der Änderung des B-Daumenhebels durch Giulio Briccialdi mit Hilfe von Rudall & Rose in London im Jahre 1849 um die zweite wesentliche Änderung des originalen Böhmsystems handelt. Die erste wesentliche Änderung erfolgte in Paris im Jahre 1837 durch Louis Dorus, der mit Hilfe von Louis Lot eine geschlossene Gis-Klappe anstatt der offenen Gis-Klappe an der Böhmflöte anbrachte. Das originale Böhmsystem findet man heute am häufigsten in Russland und wird dort „deutsches System“ genannt.

Nach dem Geschäftsbuch der Flötenwerkstatt von Theobald Böhm erhielt Briccialdi am 15. 9. 1847 die Zylinderflöte Nr. 1 „von Messing und vergoldet mit Ringklappen von Neusilber; als Geschenk“. Diese Flöte befindet sich heute in Washington in der Library of Congress, Miller Collection Nr. 652. Theobald Böhm schreibt in seinem Brief an W. Schlemming vom 24. 7. 1850, dass Briccialdi 1847 bei ihm die Metallflöte einstudierte und dazu drei Monate brauchte. Insgesamt war Briccialdi über vier Monate in München. Im gleichen Jahr widmete er Theobald seine „Fantasia su due arie dell’opera «Macbeth» di Verdi“, Opus 47, für Flöte und Klavier.

Nach Richard S. Rockstro: „A Treatise on the Construction, the History and the Practice of the Flute“. USA 2. Auflage 1924, S. 376 f. (1. Auflage London 1890), ließ Giulio Briccialdi im Mai/Juni 1849 den B-Daumenhebel durch Rudall & Rose an einer Böhmflöte aus Kokusholz von Godfroy anbringen. Seit dieser Zeit wird die Erfindung des B-Daumenhebels fast in der gesamten Flötenliteratur Briccialdi zugeschrieben.

Erst im Jahr 1960 fand Karl Ventzke heraus, dass Theobald Böhm und nicht Giulio Briccialdi der wahre Erfinder des B-Daumenhebels ist. Als er aus der Miller Collection in der Library of Congress in Washington eine Kopie von Theobalds Geschäftsbuch der Flötenwerkstatt erhielt, fand er bei der im Februar 1849 hergestellten Flöte Nr. 24 den Eintrag „Eine Flöte von Argentan mit einem Hebel für B“. Diese Flöte, die sich seit 1981 im Münchner Stadtmuseum befindet, wurde nach Großbritannien verkauft und Giulio Briccialdi, der die Flöte höchstwahrscheinlich in London gesehen hatte, ließ von Rudall & Rose im Mai/Juni 1849 einen Daumenhebel an einer von Godfroy gebauten Flöte anbringen. Der Daumenhebel von Briccialdi unterscheidet sich wesentlich vom Daumenhebel von Theobald Böhm. Er ist nun nicht mehr vertikal sondern länglich und und er ist nun nicht mehr unter, sondern über der H-Klappe. Diese Anordnung findet man heute an fast allen Flöten. Theobald bezeichnet diese Anordnung als genauso unlogisch wie die geschlossene Gis-Klappe. Die unterschiedlichen Arten des B-Daumenhebels sind unten abgebildet.

Karl Ventzke veröffentlichte seine Entdeckung in seinem Aufsatz „Wer erfand den B-Daumenhebel an der Boehmflöte?“ In: Instrumentenbau-Zeitschrift, Dezember 1960, S. 66 f. Auch Manfred Hermann Schmid schreibt in seinem Katalog der Ausstellung zum 100. Todestag von Theobald Böhm im Münchner Stadtmuseum „Die Revolution der Flöte“, 1981, S. 109, dass Theobald und nicht Briccialdi der wahre Erfinder des B-Daumenhebels ist. Die gleiche Information findet sich auch in meiner „Festschrift zum 200. Geburtstag von Theobald Böhm“, 1994, S. 24. Es wäre zu wünschen, dass diese Entdeckung allgemeiner bekannt wird als sie es heute ist.

 

Fotos

1   H-Daumenklappe über dem B-Daumenhebel bei der zylindrischen Flöte Nr. 24 von Theobald Böhm mit Außenachse. Die im Februar 1849 hergestellte Flöte Nr. 24 ist die erste zylindrische Flöte, an der ein B-Daumenhebel angebracht wurde.

Flöte in: München, Stadtmuseum, Sammlung Musik 81-1

2   H-Daumenhebel unter dem B-Daumenhebel bei einer zylindrischen Flöte von Theobald Böhm mit dem System Godfroy (vermutlich Nr. 77). Diese Art des Daumenhebels wurde im Mai/Juni 1849 in London von Giulio Briccialdi erfunden.

Flöte in: Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum

3   H-Daumenklappe über der B-Daumenklappe bei einer zylindrischen Flöte von Theobald Böhm mit dem 1854 System

Flöte in: Frankfurt am Main, Privatsammlung 85068

4   H-Daumenklappe über dem B-Daumenhebel und zusätzliche Schleifklappe bei einer zylindrischen Flöte von Böhm & Mendler

Flöte in: Berlin, Privatsammlung